Meinung
Streit um "Hillbilly-Elegie" Ausgrenzen oder aushalten? Trumps Vize und der Ullstein-Verlag
von Stefan Schmitz
3 Min.
Der Ullstein-Verlag möchte das Buch von J. D. Vance nicht mehr nachdrucken. Warum für das aufschlussreiche Buch eines Rechtspopulisten Platz sein sollte in einem liberalen Verlag.
Man kann Zensur rufen, Feigheit beklagen und ganz allgemein über den Zustand der Welt jammern: Denn tatsächlich hat der ehrwürdige Ullstein-Verlag seine Lizenz zur Verbreitung der deutschen Ausgabe eines bemerkenswertes Buches von J. D. Vance nicht verlängert. Der Autor ist der bärtige Typ mit dem breiten Kreuz, den sich Donald Trump für seinen Griff nach der Macht an die Seite geholt hat. Und dem wohl jeder als Kommunist erscheint, der hierzulande eine Partei links von der AfD wählt.
Vance ist jünger als Trump, klüger und gefährlicher. Viel spricht dafür, dass er über kurz oder lang der Anführer jenes Amerika sein wird, das die liberale Demokratie samt ihrer Institutionen als den Hauptfeind betrachtet. Igitt, dachten da wohl die Buchleute bei Ullstein. Sagen tun sie wenig. Eine Neuauflage sei nicht geplant gewesen, die Restauflage schnell verkauft. Bereits vor der Nominierung von Vance sei die Entscheidung gefallen, die auslaufenden Rechte nicht zu verlängern. Ein ganz normaler Vorgang sei das.
J.D. Vance: heiße Ware, etwas eklig
Dabei gehört es nicht zu den ganz normalen Vorgängen in deutschen Verlagen, Bestseller einfach sausen zu lassen. Und Vances autobiografisches Buch "Hillbilly-Elegie" über die abgehängte, weiße Arbeiterklasse der USA ist nun wirklich einer. Es war schon nach seinem Erscheinen 2016 ein Hit – mit über zwei Millionen verkauften Büchern allein in den USA, auch in Deutschland führte es die Bestseller-Listen an. Seit sein Autor Trumps potenzieller Vizepräsident ist, explodiert die Nachfrage. Platz eins bei Amazon.de für die deutsche Ausgabe, auf Platz drei liegt die englische. Man muss genau hinschauen, um zu erkennen, dass das deutsche Buch nicht bei Ullstein erschienen ist, sondern beim kleinen Verlag YES, der sich blitzschnell die Rechte gesichert hat. Lieferbar ist es als Taschenbuch angeblich innerhalb weniger Tage, andere Ausgaben werden folgen. Und das ist auch gut so.
Das Buch galt über Jahre als Anleitung, um die Popularität von Donald Trump – den der Autor selbst lange kritisch sah – zu verstehen. "Hillbilly-Elegie" zeigt ein Milieu, das geprägt ist von Gewalt und Drogen, von Not und Hass gegen alles Fremde. Mittendrin wächst der etwas dickliche J.D. auf. Der Dienst in der Armee prägt ihn, er schafft es irgendwie nach Yale zum Jurastudium, wird Anwalt und so etwas wie ein wandelndes Beispiel für den amerikanischen Traum. Dabei schaut er so brutal wie mitfühlend auf die, die er zurückgelassen hat. Wer das liest, kann tatsächlich eine Vorstellung davon bekommen, warum ein großer Teil der Amerikaner sich von ihrem Staat abgewandt hat. Selbst den Bundeskanzler soll das Werk gerührt haben.
Vance macht das alles nicht sympathischer; er schimpft – auch im Buch – auf den Sozialstaat. Das Recht auf Abtreibung würde er gerne abschaffen, Migranten sind ihm ein Graus, die Ukraine soll sehen, wo sie bleibt. Als "kinderlose Katzenfrauen" bepöbelt er seine politischen Gegnerinnen.
Jeder in seiner Blase
Dass der Ullstein-Verlag seinen Spitzentitel nicht mehr verbreiten will, erhöht zweifellos den Wohlfühlfaktor in der Berliner Medienszene. Dort lässt sich nun darüber streiten, ob mit dem Schritt nicht auch eine Chance vergeben wurde, das gegenseitige Verständnis zu fördern. Der Blick von J. D. Vance auf die Welt ist dabei aus der Perspektive europäischer Liberaler absurd. Nur wird eben nicht alles gut, wenn alle Beteiligten in ihren jeweiligen Blasen verharren und maximalen Abstand zu denen halten, die anders denken, anders fühlen und andere Erfahrungen haben. Im konkreten Fall ist der Schaden gering, da der Text ja mit einer kleinen Verzögerung wieder zu kaufen sein wird.
Aber wer mag, kann sich nochmal Robert Habecks Auftritt auf der Vollversammlung der Wohlmeinenden bei der Messe OMR in Hamburg anschauen. Habeck sagt in etwa: Zur DNA von gelebter Freiheit und Demokratie gehöre auch, dass man verstehen muss, warum Leute Fragen und Probleme haben. Dass man die, die anders denken, nicht einfach zubrüllen darf mit dem, was man als richtig erkannt hat. Vances Buch ist so ein Fall. Es hilft zu verstehen. Dass der Autor persönlich so ist, wie er ist, ändert nichts daran. Vielleicht wäre es eine Chance für den Ullstein-Verlag gewesen zu sagen: Wir halten den Kerl aus. Vorläufig zumindest.
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